Zwischen Alltag und Vorurteilen

Der Fall eines ausländischen Angeklagten beeindruckt die Kläger nicht. Doch er beinhaltet eine wichtige gesellschaftspolitische Diskussion.

Alexander M. wirkt geständig, als man ihm die Handschellen umlegt. Es einer der heißesten Tage des Jahres. Das Urteil: Sechs Monate Bewährung und ein Monat unbedingte Haftstrafe wegen gewerbsmäßigen Diebstahls.

Der Angeklagte hatte im Laufe eines kurzen Zeitraums vier Wertgegenstände in der Höhe von ca. 140€ aus dem Geschäft Müller gestohlen. Zwei verkaufte er weiter, zwei schenkte er seinem Sohn. Drei Jahre zuvor gab es einen Zwischenfall, bei dem er zwei Freunde seines Sohnes geohrfeigt hatte.

Im Saal 204 des Wiener Landesgerichts herrscht eine drückende Hitze während der Urteilsverkündung. Als die Richterin zum Schuldspruch kommt, fällt die Schwester von Alexander M. ihr ins Wort, sie würden nächste Woche zurück in den Kosovo fliegen, wo ihr Bruder an einer Therapie teilnehme. Doch er beschwichtigt sie mit einer Handbewegung.

Alexander M. war vor vielen Jahren mit seiner Schwester aus dem Kosovo nach Wien gekommen, wo er zur damaligen Zeit seine Lebensgefährtin kennenlernte. Er und seine Partnerin fingen an, Drogen zu konsumieren.

Jetzt befinde er sich in einem Substitutionsprogramm, das Mitte August ende, erzählt er der Richterin während der Verhandlung. Auf die Frage, wieso er erwerbslos war, gibt Alexander M. zur Antwort, er möchte sich nicht selbst beschuldigen, doch er wolle ehrlich sein, und habe in dieser Zeit schwarzgearbeitet. Aus dem Müller habe er zwei Autos für seinen Sohn gestohlen, die er ihm schenken wollte. Die anderen zwei Gegenstände habe er verkauft, um schnell an Geld zu kommen.

Die Hitze und der Alltag machen sich im Gemüt der Richterin breit. Sie wolle den Fall nicht wieder vertagen und würde deshalb eine weitere Zeugin nicht aufrufen, denn die müsse man ja extra aus ihrer Zelle herholen lassen, was die Verhandlung verzögern würde. Ein alltäglicher Fall für die Richterin, so scheint es.

Alltäglich auch für den Pflichtverteidiger, der am Ende der Verhandlung Alexander M. alles Gute wünscht und sich schnell aus dem Staub machen möchte. Die Geständigkeit des Angeklagten trage zu seiner Strafmilderung bei, verkündet die Richterin am Ende der Verhandlung im Urteilsspruch. Alle erheben sich. Alexander M. werden die Handschellen angelegt.

Abgesehen vom teilnahmslosen Verhalten der Ankläger und des Pflichtverteidigers, die den Fall wie am Fließband abfertigen, birgt dieser eine gesellschaftliche Kontroverse in sich. Vorurteile darüber, dass die meisten Kriminellen Ausländer seien, sind noch immer oft verbreitet.

Laut GFK (Gerichtliche Kriminalstatistik) kam es im Jahr 2013 insgesamt zu 51 696 Verurteilungen, von denen 33 612 Österreicher und 18 084 Nicht-Österreicher waren (statistik austria). Ein Auszug der Homepage Neustart erklärt:

„19 Prozent aller ermittelten Tatverdächtigen sind Ausländer. Bei den verurteilten Straftätern steigt ihr Anteil auf 30 Prozent. Im Gefängnis beträgt der Ausländeranteil dann sogar 41 Prozent. Armut und Armutsgefährdung ist ein Risikofaktor bei der Entstehung von Kriminalität. Ausländer sind deutlich höher von diesen Risikofaktoren betroffen als Inländer. So gesehen ist der einfache Vergleich zwischen Ausländern und Inländern so nicht zulässig. Für die prekäre Lebenssituation vieler Ausländer ist der Anteil an Kriminalität zwar nicht entschuldbar, aber nachvollziehbar. Die 2008 vorgelegte Wiederverurteilungsstatistik zeigt, dass die Wiederverurteilungsrate bei Jugendlichen beziehungsweise Einheimischen höher ist als bei Erwachsenen beziehungsweise Fremden. Wenn jemand Arbeit, eine Wohnung und gute soziale Kontakte hat, kommt er weniger in Versuchung, straffällig zu werden; sei er nun In- oder Ausländer.“

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