Urban-Loritz-Platz, Wien, credits by Hannah Richlik

Mehrsprachigkeit in Wien

Ich war in meiner Klasse die einzige „Österreicherin“ und es hat mir kein bisschen geschadet. Im Gegenteil: kulturelle und sprachliche Vielfalt sowie Offenheit für neue Kulturen prägen mein Weltbild. Ich wünsche mir mehr dieser Ansichten.

Urban-Loritz-Platz, Wien, credits by Hannah Richlik
Urban-Loritz-Platz, Wien, credits by Hannah Richlik

Ich habe in der Volksschule immer Deutsch mit allen geredet, genau so wie andere Kinder in meiner Schule. Wir verstanden uns und hatten keine Sprachbarrieren. Sprachbarrieren entstehen erst bei Erwachsenen – durch Vorurteile etwa.

Mein Vorteil war, dass meine Eltern meiner Schwester und mir vorlasen und ich schon immer gerne las. Ich denke, wenn Schule und Eltern dahinter sind, dass Kinder Deutsch lernen, sollte es kein Problem sein, dass Kinder mehrere Sprachen sprechen und mehrsprachig aufwachsen.

Es ist erwiesen, dass Kinder, die ihre Muttersprache gut sprechen, besser und schneller andere Sprachen erlernen. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass es z.B. Türkisch und B/K/S-Kurse an Schulen gibt, in denen jeder diese Sprachen lernen kann.

Ich finde es schade und traurig, dass viele Eltern heutzutage ihre Kinder in Privatschulen schicken, weil sie Sorge tragen, dass ihre Kinder an „normalen“ Gymnasien oder Mittelschulen kein „ordentliches Deutsch“ lernen.

Meine Vorfahren kommen aus Tschechien und Rumänien (deutsche Minderheiten) – so wie fast jede Wienerin und jeder Wiener Vorfahren aus dem „Osten“ hat – übersiedelten Anfang des 20. Jahrhunderts nach Wien. Ich bezweifle, dass es überhaupt jemanden gibt, der keine Vorfahren hat, die nicht aus Nachbarländern kamen – gerade im Osten Österreichs. Mein Nachname leitet sich vom Tschechischen richly – schnell – ab.

Ich halte diese Mehrsprachigkeit für einen Vorteil. Im 19. Jhd. sprach nur 1/3 der Wiener Bevölkerung Hochdeutsch – die anderen Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch etc. Wien und Österreich waren schon immer ein Durchwanderungsland. Im 20. Jhd. in der Donaumonarchie reichte Österreich bis nach Rumänien. Wieso werden diese „Ostsprachen“ nicht auch als wertvolle Sprachen anerkannt? Sprache ist stets im Wandel und ein Prozess, den wir nicht aufhalten können. Deshalb sollten wir uns nicht dagegen stämmen, sondern aktiv dafür arbeiten, dass wir in einer Stadt und einem Land leben, in denen mehrere Sprachen gesprochen werden. Wir sollten sie nicht leugnen, im Gegenteil, davon Gebrauch machen und stolz sein, ein Vielvölkerland zu sein.

Wir sollten uns vielleicht einmal zuerst näher mit unserer eigenen Geschichte befassen, damit wir die jetzige Situation besser verstehen können. Mehrsprachigkeit war, ist und wird immer ein Teil Wiens und Österreichs sein. Ich finde, wir sollten uns endlich mit diesem Geschenk anfreunden und das nicht als ein Manko sehen.

 

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