„Wie in der Zeit zurückversetzt“

Vinylplatten liegen wieder voll im Trend – Ein Besuch am Schallplattenflohmarkt in der Grellen Forelle und was es mit dem Mythos der 1970er auf sich hat

Der Eingang zum Vinylflohmarkt in der Grellen Forelle, das direkt am Donaukanal gelegen ist, liegt versteckt unterhalb der Spittelauer Lände. Es ist Samstag Nachmittag und wer schon einmal in der Grellen Forelle war, weiß, dass diese ihre Pforten erst zu nächtlichen Stunden öffnet. Grund genug, einmal hinzugehen, und sich das Lokal unter Tags anzusehen.


An der Garderobe vorbei durch einen Raum mit Bastsesseln und Vintage-Holz-Tischen und der Bar vorbei gelangt man auf die Tanzfläche, auf der Vinylsammler ihre Platten verkaufen und sich viele junge Leute tummeln, um einige der Platten zu ergattern.

Die Vinylplatte ist in

Die Vinylplatte liegt wieder im Trend. War sie seit den 1980ern durch das Aufkommen der CD und MP3-Player und Anfang der 2000er durch das Internet und youtube in Vergessenheit geraten, erlangt sie jetzt wieder Status. „Einerseits kaufen Leute Vinylplatten, weil sie als DJs oder in Clubs arbeiten, andererseits hat sich ein riesiger Sammlermarkt etabliert. Die Menschen wollen Musik wieder als etwas Einzigartiges erleben und mit der Schallplatte können sie sich von der Masse abheben.“, erläutert Sam P., einer der Plattenverkäufer und selbst Vinylsammler, am Flohmarkt.

Etwa 15 Verkäufer haben sich an diesem Tag am Flohmarkt versammelt. Im Hintergrund läuft eine Platte von Al Green. Einer der Besucher, Felix H., steht vor einem der Körbe, in denen die Vinylplatten liegen. Auf einem Klebestreifen steht in Großbuchstaben Soul geschrieben. Er blättert durch die Schallplatten, eine von Etta James zieht er heraus und meint: „Sie ist eine von den ganz Großen.“

Schallplatte oder Vinylplatte?

Die Vorreiterin der Vinylplatte ist die Schallplatte. Sie wurde bereits 1880 zurzeit der Grammophon-Ära vom Physiker Charles Sumner Tainer erfunden. Der deutsche Erfinder und Industrielle Emil Berliner entwickelte diese gemeinsam mit dem Techniker Werner Suess weiter. Im Jahre 1888 präsentierte er das Grammophon. Die ersten in Serie hergestellten Platten kamen ein Jahr später auf den Markt. Die Qualität dieser ließ jedoch zu wünschen übrig.

In den kommenden Jahren sollte Emil Berliner an der weiteren Entwicklung der Schallplatten arbeiten bis er 1896 die erste Schallplatte mit Hartgummi in Produktion gab. Die Masse bestand unter anderem aus dem Material Schellack (oder auch Tafellack – eine harzige Substanz aus Gummilack) – die erste Schellackplatte war geboren.

Die Nachfolgerin der Schellackplatte – die Vinylplatte – wurde erstmals 1930 herausgebracht. Sie besteht aus PVC – Polyvinylchlorid – kurz: Vinyl. Diese ersetzte ab den 1950er Jahren immer mehr die bisher gebräuchliche Schellackplatte – die vor allem verwendet wurde, weil sie auf den bisherigen Grammophonen besser abspielbar war.

„Die Vinylplatte entschleunigt.“

„Ich höre gerne Musik auf Vinylplatten, weil ich es schön finde, wenn man sich bewusst Zeit für das Musik hören nimmt.“, erklärt einer der Flohmarktbesuch Felix H., der eine Vinylplatte von Daft Punk in der Hand hält. „Es ist anders, als wenn man aus einem Überangebot an Musik wie auf Spotify oder youtube Musik hört. Eine Schallplatte suche ich mir bewusst aus, das Musik hören geschieht so viel bewusster, entschleunigt die Zeit.“

Vinyl und Retro

Dass die Vinylplatte wieder mehr an Aufmerksamkeit gewinnt, könnte man auch als Ausdruck einer Retrowelle verstehen. Retrowellen sind in der Kulturszene überall vorhanden: Von Mode über Architektur bis hin zur Musik – in allen Sparten lassen sich Retrowellen finden.

Retrowellen könnten unter anderem mit dem Argument des Historismus beschrieben werden: Das heißt, heutige Retro-Trends ähneln stark dem Historismus des 19. Jahrhunderts. Retrowellen sind daher nichts neues, sondern vielmehr ein anderes Wort für eine Kulturerscheinung, die neu aufgegriffen wird. So orientierte sich etwa auch die Renaissance an der Antike.

„Ich habe bereits in meiner Kindheit gerne Platten gesammelt.“, erklärt der Plattenverkäufer Sam P., der gerade einer jungen Dame eine Platte von Jimi Hendrix um 20€ verkauft. Er ist um die 50, also in etwa 1970 geboren, das heißt, genau zu der Zeit, als Vinylplatten in Mode waren. „Als dann die CDs auf den Markt kamen, war es fast vorbei mit den Schallplatten, aber ich habe trotzdem nicht aufgehört, sie zu sammeln. Ich wusste, irgendwann wollen die jungen Leute sie wieder kaufen.“

Retro und Mythos

Retrowellen könnten aber auch als Erscheinung unserer heutigen Massenmediengesellschaft in Verbindung gebracht werden. Oberflächlich könnte man annehmen, dass sich durch die Vielzahl an Informationen auch die der Kunstformen expandiert. In der Massenmediengesellschaft verhält es sich jedoch umgekehrt – eine Kunstform wird zum Mythos, weil diese für die Gesellschaft zeitsparender ist.

Woodstock lebt weiter

Der Mythos der 1970er Jahre – die Zeit der freien Liebe, Woodstock-Konzerte und Gitarristen wie Jimi Hendrix oder Janis Joplin – lebt tatsächlich noch heute fort. Wie viele Events oder TV-Shows gehen heute noch auf diese Ära der Musik zurück.
Felix H. erklärt das so: „Wenn ich zu Hause bin, eine Schallplatte auflege und mich auf mein Sofa setze, fühle ich mich wie in der Zeit zurückversetzt. Als wäre ich live auf einem Konzert von Led Zeppelin oder The Doors dabei.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.