Nostalgisches Erinnern an eine vergangene Stadt

Die Alten im Haus sterben weg. Zuerst starb die Frau Lärch aus dem dritten Stock. Danach die Hubingers aus dem ersten. Nach ihnen der Nowotny im zweiten. Ihre Wohnungen werden geräumt, saniert, neue Leute ziehen ein. Ist ja nicht so, dass nie wer stirbt und in die Wohnungen nie wer Neuer einzieht. Das Erstaunliche daran ist wahrscheinlich nur, dass es mir auffällt und ich darüber jetzt eine Geschichte schreibe. Weil irgendwer muss sich ja noch an die erinnern, wenn die tot sind. Oder nicht?

 

Zum Beispiel an die Frau Lärch: Die hat früher ganz lange im Cafe Jelinek gekellnert. Bis zu ihrer Pension. Hat’s ganz schön bunt getrieben mit den Männern. Obwohl sie eigentlich nur ihrer großen Liebe nachgetrauert hat.

Dann gab’s da die Hubingers: Ein großbürgerliches Ehepaar, sie Anwältin, er Schauspieler. Mit der Kunst verhält sich’s so, wissen’s, hat er mal erzählt, jeder passt sich an sein Regime an. Das, was die Menschen immer begeistert hat, sind Stücke über die Liebe. In der Nazizeit war’s die Vorstellung von der Liebe der Frau zum starken Mann, jetzt sind’s alle freier, glauben’s, und sehnen sich nach einer Liebe, die aus freien Stücken heraus entsteht. Na, ob das so ist, das weiß ich nicht.

 Am unglücklichsten war wahrscheinlich der Nowotny. Der hat an gar nichts mehr geglaubt. Familie, Liebe – das sind ja nur Konstrukte unserer Gesellschaft, da bin ich nicht nostalgisch. Wozu was hinterherrennen, was nicht existiert?

Der Nowotny starb erst vor kurzem. Jetzt wohnt seine Tochter in der Wohnung. Die große Liebe gibt’s nur einmal. Die findet man, oder nicht. Zwischen dem Suchen muss man sich selbst finden. Nur wenn man sich selbst liebt, dann kann man erwarten, von jemandem anderen geliebt zu werden. 

Jeder Zeit ihre  – abgedroschene – Vorstellung.

Die Alten sterben, in ihre Wohnungen ziehen ihre Töchter und Söhne ein. Wände werden frisch gestrichen. Die Nostalgie lebt weiter.

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